Prof. Dr. Marius Swoboda, Head of Design Systems Engineering bei Rolls-Royce, im Gespräch
In Dahlewitz entwickelt das britische Unternehmen Rolls-Royce die Flugzeugtriebwerke der Zukunft: Virtual Reality ist längst Realität in der Luftfahrt. Mit Prof. Swoboda sprachen wir über 1:1 Visualisierung, Engine Health Monitoring, Sicherheitsanforderungen und Schlaglöcher.
Visualisierungstechnologien in der Luftfahrt: Wie weit sind wir, wohin geht es Prof. Swoboda?
Generell nehmen Visualisierungstechnologien in der Luftfahrt kontinuierlich zu und werden bereits in vielen Bereiche eingesetzt – vom Entwurf über das Marketing bis hin zu Training und Service. Bei Rolls-Royce Deutschland in Dahlewitz betreiben wir beispielsweise eine 3D Virtual Reality CAVE zur maßstabgerechten Visualisierung von Triebwerken und deren Komponenten. Damit ist nicht nur eine 1:1 Visualisierung unserer Produkte möglich, sondern auch eine weltweite Kooperation mit Kollegen zur kollaborativen und optimalen Auslegung von Komponenten. Seit dem Aufbau der Einrichtung sind firmenintern Interesse und Nachfrage rapide gestiegen – das Erlebnis der immersiven Darstellung und der praktische Nutzen überzeugen in kurzer Zeit.
Visualisierung, Robotisierung, KI in der Flugzeugproduktion: Wie hoch ist der „HandsOn“ Anteil?
Ich kann hier nur für unser Unternehmen sprechen. Wir arbeiten z.Z. beispielsweise an Ansätzen zur automatischen Überprüfung von montieren Triebwerkskomponenten. Dabei werden die realen Komponenten aus vielen Perspektiven gefilmt und elektronisch mit CAD Auslegungsdaten verglichen. Die hier eingesetzten Software Lösungen beinhalten viele KI Ansätze.
Noch weiter sind wir in Sachen KI beim Service. Wir sind die Pioniere des ‚Engine Health Monitoring‘ (EHM), also der Überwachung von Triebwerken in der Luft. Was vor Jahrzehnten begann ist mittlerweile fest bei unseren Kunden etabliert und wird von uns ständig weiterentwickelt. So setzen wir KI zunehmend ein, um Betriebsdaten einzelner Triebwerke zu überwachen und gemeinsam mit der ganzen Flotte eines Typs auszuwerten. Was wir mit einem Triebwerk lernen, kommt so dem Betrieb und der Sicherheit aller Exemplare zugute – wohlgemerkt nicht nur retrospektiv, sondern auch im Sinne vorbeugender Maßnahmen im Service, wenn sich entsprechende Trends abzeichnen. Im neuesten Pearl Triebwerk für Bombardier erfassen wir bereits Tausende Parameter – ursprünglich waren es nur Dutzende.
Ersetzt das den Piloten?
Nein – keineswegs. Unsere Operations Centres erhalten über Satellit die Triebwerksdaten. Unsere Ingenieure verfolgen diese und werten sie aus – manuell und mit Hilfe von KI Anwendungen. Sollten Maßnahmen nötig werden, so sprechen unsere Experten zunächst mit den Betreibern der Flugzeuge, deren Verantwortliche wiederum mit den Piloten. Die letzte Entscheidung für einen Flieger in der Luft hat stets der Kapitän.
Ist eine vollautomatische Flugzeugproduktion, zumindest gedanklich, in greifbarer Nähe?
Wie eben schon festgestellt: Wir können nur über unseren Tätigkeitsbereich sprechen. Triebwerksbau ist immer noch weitgehend Manufaktur, was einerseits mit den extrem hohen Sicherheits- und Qualitäts-Anforderungen zu tun hat und andererseits mit den entstehenden Stückzahlen. Wir standardisieren in erheblichem Umfang und verfolgen z.T. eine Plattformstrategie ähnlich der Automobilbranche. Wieviel aber automatisiert wird ist auch eine Frage des „Business Cases“. Bitte bedenken Sie: Es werden heute ca. 25.000 Passagierflugzeuge in aller Welt aktiv eingesetzt. Verglichen mit der Anzahl von Autos, die weitgehend automatisiert produziert werden, ist dies eine sehr geringe Zahl. Diese Relation wird sich fortsetzen: Sowohl Airbus wie auch Boeing haben im Jahr 2017 jeweils ca. 700 Flugzeuge ausgeliefert. VW hat im gleichen Jahr ca. 5 Mio Fahrzeuge verkauft.
Stichwort selbstfliegende Flugzeuge: Den Autopiloten der Lüfte gibt es schon lange, erst jetzt kommt die Technik langsam auf der Erde an. Warum ist Autopilot in der Luft so etabliert und nichts „zum nervös“ werden, autonomes Fahren hingegen schon?
Ist ein Flugzeug einmal in der Luft, stellen sich den Piloten in der Regel kaum Herausforderungen durch die unmittelbare Umgebung. Auf der Straße aber müssen unglaublich viele wechselnde Randbedingungen für die Fahrdynamik berücksichtigt werden (Verkehr, Schlaglöcher, Spaziergänger, Wetter etc.). Die Sensorik wie die Informationsverarbeitung waren bislang schlicht nicht ausgereift genug, um die im Auto notwendigerweise zu berücksichtigenden Datenmengen in Realtime zu verwerten und in geeignete Aktionen umzusetzen. Flugsimulatoren, um die notwendigen Aktionen zu üben, gibt es bereits seit den 1960er Jahren, der erste Auto-Fahrsimulator aber kam erst ca. 1985 auf den Markt (Mercedes Benz Marienfelde). Das liegt einerseits daran, dass die Flugmechanik sehr gut die Bewegung eines Flugzeuges beschreiben kann und die Dinge in der Regel sehr geordnet ablaufen (einschließlich Start, Landung, Böen Lasten), andererseits aber im Straßenverkehr schlicht zu viel los ist!
Als britischer Konzern forschen und produzieren sie vor den Toren Berlins – Warum? Welche Potenziale hat der Standort Brandenburg jetzt und zukünftig?
Richtig, wir sind seit rund 25 Jahren da und entwickeln uns stetig weiter. Ursprünglich waren wir in Deutschland ein Gemeinschaftsunternehmen von BMW und unserem englischen Mutterkonzern Rolls-Royce plc. Gesucht wurde damals ein günstig gelegener, attraktiver Standort mit Zugang zu qualifizierten Fachkräften. Das war in Brandenburg gegeben. Wir haben hier nicht nur eine sehr aufgeschlossene, engagierte Landesregierung, von der wir seit jeher viel Unterstützung erfahren, sondern auch ein akademisch anspruchsvolles Umfeld mit Fachhochschulen, mit der BTU Cottbus oder der TU Berlin. Seit dem Start ist es uns gelungen, die Verantwortung für viele neue Projekte aus den UK übertragen zu bekommen. Jeder Erfolg dabei qualifiziert uns für zukünftige Aufträge.