Barrierefreie Medienangebote für Gehörlose und mehr Sichtbarkeit für Arbeit von gehörlosen Filmschaffenden
Medien oder digitale Medien können die Inklusion erleichtern. Sie spielen eine Schlüsselrolle in der Teilhabe an Gesellschaften. Wie sieht es also mit den Angeboten für Gehörlose oder Schwerhörige aus? Einfach, könnte man meinen: Mittlerweile gibt es doch fast überall Untertitel auf Abruf – allein 90 Prozent der Inhalte in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind damit versehen.
Aber sie sind kein vollwertiger Ersatz. Kinder, die noch nicht lesen können, schließt es komplett aus. Für Gehörlose, deren Erstsprache die Gebärdensprache ist, ist Schriftsprache außerdem schwerer zu erfassen. Und wie anspruchsvoll es darüber hinaus sein kann, einen Film zu verfolgen und gleichzeitig die Untertitel zu lesen, das kennen auch Hörende. Hinzu kommt die fehlende Akustik, die sonst die Handlung unterstützt.
Rund 80.000 Menschen benutzen in Deutschland die Gebärdensprache, die meisten von ihnen sind gehörlos oder schwerhörig. Für sie braucht es entsprechende Programminhalte oder Apps, ausgerichtet auf ihre Bedürfnisse. Der rbb stattet seit 2017 sein tägliches Sandmännchen mit Gebärdendarsteller:innen aus, die sich unten am rechten Bildschirm einblenden lassen. Wenn also hier oder beim Tatort, bei einer Pressekonferenz der Bundesregierung oder dem heute journal gebärdet wird, steckt dahinter oft einer der größten deutschen Anbieter für Synchron-Dolmetschen für Gehörslose: Das Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen Berlin/Brandenburg e.V., kurz ZFK e.V.
Tatort und Sandmännchen in Gebärdensprache
Mit ihren Studios sitzt das ZFK e.V. direkt in der Medienstadt. Uwe Schönfeld, Vorstand und selbst Gebärdensprachdolmetscher, führt durch die Räume. An den Wänden hängen alte Filmporträts, es herrscht eine gemütliche Atmosphäre. In einem Studio wird gerade ein Tatort synchronisiert. Dafür hat sich die Dolmetscherin ihrer Rolle gemäß gekleidet und steht vor einem Greenscreen. Ihr Kollege hinter den Kameras verfolgt die Szene auf mehreren Bildschirmen, parallel liegt das Dialog-Drehbuch vor ihm. Ein anderer Technikraum steht für 3D-Aufnahmen bereit und in wieder einem anderen Raum kümmert sich mittlerweile eine KI darum, die Skripte und Drehbücher vorzubereiten, indem sie zum Beispiel die Dialoge für die Dolmetschenden in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt.
Wer mit der DGS als Muttersprache aufgewachsen ist, ist andere Satzbilder und grammatikalische Strukturen gewöhnt. Anders als bei der deutschen Schriftsprache kommt dort beispielsweise immer das größere Objekt vor dem kleineren Objekt: etwa „Auge im Haar“, statt „Haar im Auge“. Schönfeld erzählt von den hohen Klickzahlen des Sandmännchens und der Fanpost eines dreieinhalbjährigen Jungen. Für die Jüngeren lässt das ZFK extra Kinder- und Jugendliche die Sendungen gebärden. Bei einem Märchen mimen sie dann auch mal gleichzeitig den König und den Erzähler und sind jeweils kostümiert, um das Dialogverständnis zu erleichtern und die Rollenverteilungen klarer zu ziehen. Auch bei Filmen wie dem Tatort achtet man darauf, die Dolmetschenden mit ihrer Kleidung an die jeweilige Rolle anzupassen.
Eigene Medienproduktion und Apps
„Nicht über uns ohne uns“, zitiert Schönfeld den Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention. „Gehörlose kennen die Bedürfnisse von Gehörlosen am besten und können sie, beispielsweise im Filmbereich, so auch am besten selbst umsetzen. Es gibt wenig, wo es so miteinander verwoben ist – Kultur, Sprache, Bild. In unserem Bildungsbereich haben wir gehörlose Dozentinnen und Dozenten, die ihre Kompetenz hier auch einbringen. Das ist die Basis unserer Arbeit, die verschiedenen Bereiche vernetzen. Wir möchten gerade unseren Medienbereich unter diesem Aspekt weiter ausbauen“, so Schönfeld.
Bei über 50 Mitarbeitenden des ZFK ist die Mehrzahl nicht-hörend. Und neben Beratungsdienstleistungen, Dolmeterscher:innenservice sowie Gebärdensprach- und Sensibilisierungskurse gibt es eine eigene Medienproduktion. Deren Team besteht aus fachlich ausgebildeten tauben und hörenden Kameramännern/-frauen, Editor:innen, Schauspieler:innen, Journalist:innen und Projektmanager:innen, die vom Gesamtkonzept über die textlichen Anpassungen bis hin zu Schnitt und Kamera alles aus einer Hand anbieten können. Für die Filmbranche stellt ZFK ebenfalls Deaf Supervisors, die beim Dreh zwischen allen Gewerken vermitteln und die Regisseur:innen beraten.
Ob jemand einen Gehörlosen spielt oder tatsächlich gehörlos ist und die Gebärdensprache beherrscht, macht einen großen Unterschied. Auch an anderer Stelle sind die Medien, beziehungsweise die digitalen Medien, stärker in die Welt der Gehörlosen integriert. Dank Videotelefonie hat sich die Kommunikation stark vereinfacht und macht Apps barrierefrei. Das ZFK hat gleich zwei davon selbst entwickelt. Die WIS-App bietet einen Video-Dolmetscher:innenservice per Knopfdruck und die Notruf-App WIS-Emergency hilft, mit einem Notruf-Button wichtige Informationen an Rettungsstellen zu senden. Der Service über den sich live Gebärdensprachdolmetscher:innen zuschalten lassen, ist gerade in der Testphase.
Von Avataren, wie sie schon jetzt manchmal zum Einsatz kommen – also digital animierten Figuren – hält Uwe Schönfeld momentan wenig. „Als Informationsgebende für Standartinformationen, etwa an Flughäfen mag das funktionieren. Aber bereits für Veranstaltungen oder sogar die Übersetzung einer Homepage fehlt das, was menschliche Dolmentscher:innen ausmacht: Es kommt nicht nur auf die Handzeichen an, es braucht auch Emotionen im Gesicht, die Mimik und die Körperhaltung. Es ist ein komplexes Zusammenspiel, das können Avatare so nicht leisten“, erklärt Schönfeld. Generell seien die Kosten für Dolmetscher:innen hoch. Nicht jede:r Gebärden-Dolmetscher:in hat eine hohe Kompetenz in deutscher Schriftsprache, manche übersetzen nur 1:1. Für gute Dialogtexte auf Basis des Drehbuchs braucht es dann eine weitere Unterstützung. Und vieles, was vielleicht bereits dank technischer Möglichkeiten bei den Sendern machbar wäre, scheitert an den mit dem Aufwand verbundenen hohen Kosten.
Die Della Awards und das erste internationale Filmfestival für taube Filmschaffende
Um die Arbeit der gehörlosen Filmschaffenden sichtbarer zu machen, hat das ZFK das 1. Internationale Filmfestival für taube Filmschaffende sowie die Della Awards ins Leben gerufen. Zusammen mit der Award-Feier fanden sie im Herbst 2023 in den Studios Babelsberg statt. Aus über 2.500 eingereichten Bewerbungen, darunter kommerzielle Filme, Indie-Produktionen und Dokumentationen, wurde die philippinische Produktion „Tell her Flag“ als bester Spielfilm prämiert. Schauspielerin Anne Zander (selbst beim ZFK tätig) wurde für ihre Rolle in dem ZDF-Drama „Du sollst hören“ ausgezeichnet. Aus Hollywood kamen unter anderem die Schauspieler Troy Kotsur (Oscar-prämiert für Coda) und John Marceau angereist, aus Frankreich die Schauspielerin Emmanuelle Laborit. „Das sind alles bekannte Persönlichkeiten, aber auf ihre Art in ihrer Branche doch Einzelkämpfer“, so Uwe Schönfeld. Nicht nur für die Außenwahrnehmung und Anerkennung der Gehörlösen im Film-Business spielen die Della-Awards eine wichtige Rolle – auch für die Vernetzung innerhalb der Branche.
Um taube Filmschaffende zu unterstützen, stellt das ZFK auch selbst Gelder bereit. Uwe Schönfeld erzählt von dem Plan, mehr im Digitalen anzubieten – weg vom analogen Fernsehen – einen eigenen Kanal beziehungsweise eine eigene Streaming-Plattform für Gehörlose an den Start zu bringen. Hier ließe sich Filmmaterial aus der ganzen Welt zusammenführen, das nicht nur für die enge Zielgruppe der Gehörlosen gedacht ist, sondern auch deren Mutliplikator:innen, Eltern, Großeltern, Freund:innen oder Studierende der Gebärdensprache. Zukünftig sollen die Awards alle zwei Jahre am Standort stattfinden – die nächsten Della Awards werden im Herbst 2025 verliehen.